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Was auf den ersten Blick wie eine kleine Randnotiz wirkt, dürfte vielen Eltern Hoffnung geben, die sich hilflos den Entscheidungen der Gesundheitsämter ausgesetzt fühlen. Mehrere deutsche Verwaltungsgerichte sowie ein Oberverwaltungsgericht haben entschieden, dass Gesundheitsämter ärztliche Kontraindikationsatteste nicht einfach „vom Schreibtisch“ aus verwerfen dürfen – vorausgesetzt, diese Atteste sind plausibel.

Hintergrund: Die Masernnachweispflicht

Die Masernnachweispflicht gemäß § 20 Abs. 8 ff. Infektionsschutzgesetz (IfSG) kann durch ein ärztliches Kontraindikationsattest erfüllt werden. Ein solches Attest wird von einem Arzt ausgestellt, wenn eine Impfung aufgrund von Vorerkrankungen mit erheblichen Risiken verbunden ist. Doch Gesundheitsämter akzeptieren diese Atteste oft nicht. Sie stützen sich dabei oft nur auf die Liste des Robert Koch-Instituts (RKI), die – fälschlicherweise – als abschließend betrachtet wird.

Was sagen die Gerichte?

Die Gerichte haben nun in mehreren Fällen klargestellt, dass diese Praxis rechtswidrig ist. Hier die entscheidenden Urteile im Wortlaut:

Verwaltungsgericht Düsseldorf (7. Februar 2024):

„Der Antragsgegner ist nicht befugt, die inhaltliche Richtigkeit der vorgelegten ärztlichen Bescheinigung eigenständig in Zweifel zu ziehen. Die Erfüllung der Nachweispflicht nach § 20 Abs. 12 Satz 1 IfSG ist bereits durch die Vorlage des ärztlichen Attests gewährleistet, unabhängig von den Zweifeln der Behörde.“
(VG Düsseldorf, Beschluss vom 07.02.2024, Az. 29 L 3343/23)

Verwaltungsgericht Cottbus (8. Juli 2024):

„Soweit gleichzeitig durch den Bescheid eine ‚Ablehnung der Akzeptanz des ärztlichen Attests vom 11. April 2024‘ erfolgte, dürfte es schon an einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage fehlen. […] Eine eigenständige Zurückweisung eines Attests durch Verwaltungsakt dürfte das Gesetz dagegen nicht vorsehen.“
(VG Cottbus, Hinweis vom 08.07.2024, Az. VG 8K 979/24)

Verwaltungsgericht Regensburg (30. August 2024):

„Zweifel an der inhaltlichen Richtigkeit dieser Ausführungen, sei es, weil keine ausreichenden fachärztlichen Unterlagen vorgelegt wurden, sei es, weil das Gesundheitsamt die Ausführungen nicht für überzeugend hält, ändern nichts daran, dass ein Nachweis i.S.v. § 20 Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 IfSG vorgelegt wurde. […] Bereits die Formulierung in § 20 Abs. 12 Satz 2 IfSG, dass bei Zweifeln an der Echtheit oder inhaltlichen Richtigkeit des vorgelegten Nachweises weitere Maßnahmen angeordnet werden können, belegt, dass aus Sicht des Gesetzgebers auch ein solcher Nachweis, an dem Zweifel bestehen, gleichwohl ein vorgelegter Nachweis i.S.v. § 20 Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 IfSG ist.“
(VG Regensburg, Beschluss vom 30.08.2024, Az. RO 5 E 24.1907)

Verwaltungsgericht Augsburg (4. November 2024):

„Nach umfassender Beratung der Sach- und Rechtslage weist das Gericht darauf hin, dass mit der Vorlage der mit einer medizinischen Begründung versehenen Bescheinigung vom 24. Februar 2023 den Anforderungen einer Nachweisvorlage nach § 20 Abs. 12 Satz 1 IfSG genüge getan wurde. Dem Landratsamt stehe nach der Gesetzessystematik nicht die Kompetenz zur Seite steht, diesen Nachweis als nicht verwertbar zu qualifizieren. Nach der Systematik des § 20 Abs. 12 IfSG verbleibt in diesen Fällen die Möglichkeit eines Vorgehens nach § 20 Abs. 12 Satz 2 IfSG.“

(VG Augsburg, Protokoll vom 04.11.2024, Az. Au 9 K 24.939)

Oberverwaltungsgericht Thüringen (15. August 2024):

„Vielmehr stehen Zweifel an der inhaltlichen Richtigkeit des vorgelegten Nachweises der Erfüllung der Voraussetzungen des § 20 Abs. 12 Satz 1 i.V.m. Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 IfSG nicht entgegen, sondern führen lediglich dazu, dass das Gesundheitsamt nach § 20 Abs. 12 Satz 2 IfSG eine ärztliche Untersuchung dazu anordnen kann, ob die betroffene Person aufgrund einer medizinischen Kontraindikation nicht gegen Masern geimpft werden kann. […] Würde man für die Plausibilität eines ärztlichen Zeugnisses im Rahmen von § 20 Abs. 12 Satz 1 IfSG fordern, dass das Zeugnis mit absoluter Gewissheit inhaltlich richtig sein muss, wäre die Regelung des § 20 Abs. 12 Satz 2 IfSG obsolet.“
(OVG Thüringen, Beschluss vom 15.08.2024, Az. 3 EO 235/24)

Bedeutung für Eltern

Diese Entscheidungen schaffen Klarheit und stärken die Rechte von Eltern. Ein ärztliches Attest, das plausibel ist und Angaben zum Grund der Kontraindikation enthält, darf nicht einfach verworfen werden. Behörden können lediglich nach § 20 Abs. 12 S. 2 IfSG zusätzliche Unterlagen vom Arzt anfordern oder eine amtsärztliche Untersuchung anordnen.

Fazit

Die Urteile markieren einen wichtigen Schritt in Richtung Rechtssicherheit und schränken die Willkür behördlicher Entscheidungen ein. Dennoch bleibt abzuwarten, wie die Praxis diese Entscheidungen umsetzt und ob es eine endgültige Klärung auf höchster Ebene geben wird.