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Musterschreiben (am Ende des Beitrags)

1. Rechtlicher Hintergrund

  • Eine Impfung ist ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit. Gemäß § 630d BGB ist für eine solche Maßnahme die Einwilligung beider Elternteile erforderlich. Diese Einwilligung muss freiwillig sein und darf nicht durch Druck oder Zwang erzwungen werden.

2. Das Alter des Kindes

  • Ab dem Alter von ca. 14 Jahren ist auch die Einwilligung des Kindes selbst erforderlich.

3. Das Problem der fehlenden Freiwilligkeit

  • Ärzte äußern Bedenken, sich strafbar zu machen, wenn die Einwilligung zur Impfung nicht freiwillig erfolgt. Dies ist insbesondere dann problematisch, wenn die Einwilligung aufgrund von Bußgeldandrohungen erfolgt. Der Münchener Kommentar (MüKo, 9. Auflage 2023) verweist auf Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG), die besagen, dass die Einwilligung frei von unzulässigen Einflüssen sein muss.

„Nach der Rspr. des BVerfG setzt die Einwilligung des Betroffenen in eine Heilbehandlung voraus, dass er im Zeitpunkt ihrer Erklärung keinen unzulässigen Einflussnahmen oder Druck ausgesetzt war“

MüKo, 9. Auflage 2023, BGB, § 630d, Rn. 28 und BVerfGE 153, 182 (274) sowie BVerfGE 128, 282 (301))

4. Was sagt das Bundesverfassungsgericht?

  • Laut BVerfG bleibt die Freiwilligkeit der Impfentscheidung der Eltern unberührt. Es gibt keine mit Zwang durchsetzbare Impfpflicht. Daher kommt auch § 20 IfSG nicht als Rechtfertigungsgrund in Frage.

 „Dabei wird das Gewicht des Eingriffs in Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG auch dadurch abgemildert, dass die angegriffenen Maßnahmen die Freiwilligkeit der Impfentscheidung der Eltern als solche nicht aufheben und diesen damit die Ausübung der Gesundheitssorge für ihre Kinder im Grundsatz belassen. Sie ordnen keine mit Zwang durchsetzbare Impfpflicht an (vgl. auch § 28 Abs. 1 Satz 3 IfSG).“

Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 21. Juli 2022, 1 BvR 469/20, 1 BvR 470/20, 1 BvR 120, 1 BvR 472/20, dort Rz. 145

5. Strafrechtliche Konsequenzen für den Arzt

  • Ein Arzt, der eine Impfung durchführt, obwohl die Einwilligung der Eltern nicht freiwillig erfolgte, riskiert sowohl strafrechtliche als auch zivilrechtliche Konsequenzen. Die Einwilligung stellt strafrechtlich einen sogenannten Rechtfertigungsgrund dar.

6. Was können Eltern tun?

  • Eltern, die sich in dieser Situation befinden, sollten ihren Arzt darauf hinweisen und ein Schreiben an das Gesundheitsamt verfassen, das auf die rechtliche Unsicherheit hinweist. Der Arzt kann bestätigen, dass er das Gesundheitsamt kontaktiert hat und noch keine Antwort erhalten hat.

MUSTERSCHREIBEN:

Bitte beachten Sie, dass es sich hier um allgemeine Muster handelt, welche meine Rechtsauffassung darstellen. Die Rechtslage ist ungeklärt, da es bislang noch keine Rechtsprechung dazu gibt. Eine Haftung für die Richtigkeit und Vollständigkeit der Darstellung kann nicht übernommen werden! Die Muster können keine individuelle Rechtsberatung ersetzen. Für eine kostenpflichtige individuelle Rechtsberatung kontaktieren Sie mich bitte über: rohring@kanzlei-rohring.de 

Absender: Briefkopf Arztpraxis 

An:

zuständiges Gesundheitsamt

                                                                      Ort, Datum, den xx.xx.20xx

Ihr Az. xxxxxxxxxxxx (bitte dem Arzt mitteilen)

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich bitte um eine verbindliche Stellungnahme zu folgender Situation: Es stellen sich gelegentlich Eltern vor, die unter explizitem Hinweis auf ein staatliches Druck- und Zwangsszenario eine Masern- bzw. MMR-Impfung für ihr Schulkind von mir verlangen. Hingewiesen werde ich dabei sowohl auf ein zu erwartendes oder bereits verhängtes Bußgeld sowie auf Zwangsgeldandrohungen in drei- oder sogar vierstelliger Höhe, die andernorts wohl ebenfalls von den Gesundheitsämtern praktiziert worden sind.

Nach § 630d BGB benötige ich als impfender Arzt, um mich nicht wegen Körperverletzung strafbar zu machen, die Einwilligung beider Elternteile und ab einem bestimmten Alter (idR 14 Jahre) auch die Einwilligung des zu impfenden Kindes bzw. Jugendlichen. Die Einwilligung stellt strafrechtlich einen sog. Rechtfertigungsgrund dar. Klar ist auch, dass eine Einwilligung nur wirksam ist, wenn sie nicht durch eine unzulässige Einflussnahme oder Druck herbeigeführt worden ist (siehe MüKo, 9. Auflage 2023, BGB, § 630d, Rn. 28 und BVerfGE 153, 182 (274) sowie BVerfGE 128, 282 (301)). Ich befinde mich demnach in einer nicht auflösbaren Situation, sobald mir bekannt ist, dass die Einwilligung der Eltern/des heranwachsenden Kindes in eine Masernimpfung nicht aus freien Stücken, sondern wegen § 20 IfSG erteilt wurde.

§ 20 IfSG als Vorschrift dürfte selbst nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wiederum keinen (gesetzlichen) Rechtfertigungsgrund darstellen, denn eine gesetzlich verbindliche Impfanordnung bzw. Impfpflicht besteht ausdrücklich nicht, siehe auch § 28 Abs. 1 S. 3 IfSG.

Laut Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 21. Juli 2022, 1 BvR 469/20, 1 BvR 470/20, 1 BvR 120, 1 BvR 472/20, dort Rz. 145 soll es so sein, dass die Freiwilligkeit der Impfentscheidung der Eltern unangetastet bleibt und eine mit Zwang durchsetzbare Impfpflicht nicht besteht. Wörtlich hat das Bundesverfassungsgericht insoweit ausgeführt:

                   „Dabei wird das Gewicht des Eingriffs in Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG auch dadurch abgemildert, dass die angegriffenen Maßnahmen die Freiwilligkeit der Impfentscheidung der Eltern als solche nicht aufheben und diesen damit die Ausübung der Gesundheitssorge für ihre Kinder im Grundsatz belassen. Sie ordnen keine mit Zwang durchsetzbare Impfpflicht an (vgl. auch § 28 Abs. 1 Satz 3 IfSG).“

Aus meiner Sicht besteht bis zur Klärung der Situation sowohl ein strafrechtliches als auch zivilrechtliches Haftungsrisiko, sobald mir bekannt ist, dass die von den Eltern erteilte Einwilligung (nur) wegen § 20 IfSG erteilt worden ist.

Bitte teilen Sie mir mit, wie im Hinblick auf dieses Risiko zu verfahren ist.  Als Frist für den Eingang Ihrer Antwort habe ich mir den ___________ vorgemerkt.

 Mit freundlichen Grüßen

_________________________

Praxisstempel /Unterschrift

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ÄRZTLICHE BESCHEINIGUNG

für (Name der Eltern, Name des Kindes, geb. am _____________ )

Ich habe am xx.xx.2023 ein Schreiben an das Gesundheitsamt xxxxxxxxxx gerichtet, siehe Anlage. Eine Reaktion auf dieses Schreiben erfolgte bisher nicht.

Wenn den einwilligenden Eltern konkret ein Bußgeld droht und dieses die Impfmotivation für eine MMR-Impfung bzw. Masernimpfung begründet sehe ich mich aktuell bis zur Klärung der Situation aus rechtlichen Gründen trotz ausdrücklichen Verlangens nicht imstande, die MMR-Impfung/Masernimpfung an dem o. g. Kind vorzunehmen.

Ort, Datum _______________________

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Unterschrift /Praxisstempel

Anlage: Schreiben an Gesundheitsamt in Kopie