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Mitarbeiterin hat Beschäftigungsanspruch

Ich vertrete in dem Verfahren die Mitarbeiterin einer Pflegeeinrichtung, die nunmehr seit 20 Jahren in der Küche dieser Pflegeeinrichtung beschäftigt ist und schon ab dem 16. März unbezahlt freigestellt worden war, weil sie sich nicht impfen lassen wollte.

Das Arbeitsgericht Paderborn hat jetzt entschieden, dass der Arbeitgeber diese ungeimpfte Arbeitnehmerin ohne eine Entscheidung des Gesundheitsamtes nicht einfach so unbezahlt freistellen darf.

Das ist leider kein Einzelfall. Die Arbeitgeber haben in diesen Fällen nicht die Entscheidung des Gesundheitsamtes abgewartet und die Mitarbeiter einfach nur gemeldet.

Nein sie gaben vor, dass sie verpflichtet seien, alle Arbeitnehmer unbezahlt freizustellen, die keinen Nachweis vorlegen können.

Ich führe hier mehre Prozesse und freue mich, dass ich das Arbeitsgericht Paderborn nunmehr mit meiner Argumentation überzeugen konnte.

Wortlaut des § 20a Abs. 1 IfSG

Die Pflegeeinrichtungen argumentieren , dass in § 20a Abs. 1 Infektionsschutzgesetz

  • ein zwingendes gesetzliches Tätigkeitsverbot bzw.
  • eine gesetzliche Tätigkeitsvoraussetzung geregelt sei,

weil nach dem Wortlaut in den dort genannten Einrichtungen nur Mitarbeiter arbeiten „dürfen“, die im Besitz eines Impfnachweises, Genesenennachweises oder eines Nachweises über eine Kontraindikation sind.

Dies ergebe sich aus dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes und der Tatsache, dass es keinen infektionsschutzrechtlichen Unterschied machen könne, ob es sich um einen Mitarbeiter handelt, der schon vor dem 15.3.2022 in der Einrichtung tätig war oder erst nach dem 15.3.2022.

Kein unmittelbares Tätigkeitsverbot kraft Gesetzes

Diese Unterscheidung trifft aber das Gesetz, wonach nur für neue Mitarbeiter ein zwingendes gesetzliches Tätigkeitsverbot gilt ( §20a Abs.3 IfSG), während bei Bestandsmitarbeitern nur eine Meldung an das Gesundheitsamt zu machen ist. Das Gesundheitsamt entscheidet dann nach Abwägung aller individuellen Besonderheiten insb. der Versorgungssicherheit, ob es überhaupt zu einem Verbot kommt oder nicht (§20a Abs. 5 IfSG ).

Bereits das Arbeitssgericht Bonn hatte im Mai entschieden, dass deshalb in einem vergleichbaren Fall ein Lohnfortzahlungsanspruch besteht.

Durch die Presse gingen aber Entscheidungen, die den Eindruck vermittelten, dass sich die Rechtsauffassung durchsetze, dass ungeimpfte Mitarbeiter unbezahlt freigestellt dürften.

Dazu gehörten das

In all den Fällen war aber die Besonderheit, dass es sich dort um Eilverfahren handelte .

In diesen ging es auch nur um einen Beschäftigungsanspruch und nicht um den Anspruch auf Lohnfortzahlung während der Freistellung. Außerdem ist in Eilverfahren die Besonderheit, dass hier nur eine summarische/ oberflächliche Prüfung stattfindet und die Hauptsache nicht vorweggenommen werden darf, sodass ein Beschäftigungsanspruch in einem Eilverfahren ohnehin schwierig durchsetzbar ist.

Allein das Arbeitsgericht Köln hat nach meinem Kenntnisstand sowohl den Beschäftigungsanspruch als auch den Lohnfortzahlungsanspruch mit der Begründung verneint, dass es sich um eine gesetzliche Tätigkeitsvoraussetzung handele, die bei Nichtvorliegen eine „unbezahlte Freistellung“ rechtfertige.

Das Arbeitsgericht Paderborn hat sich auch mit den umfangreichen Ausführungen in dem Urteil des Arbeitsgerichtes Köln auseinandergesetzt.

Glücklicherweise fand das Arbeitsgericht Paderborn unsere Argumente aber überzeugender.

Nach den FAQ des Bundesgesundheitsministeriums gilt:

„27. Welche arbeitsrechtlichen Folgen können sich für die betroffenen Personen ergeben, wenn keine Nachweise vorgelegt werden?

Im Hinblick auf Personen, die bereits in den betroffenen Einrichtungen und Unternehmen tätig sind, sind mögliche arbeitsrechtliche Rechtsfolgen abhängig von der Entscheidung des Gesundheitsamtes.

Bis das Gesundheitsamt über den Fall entschieden hat und ggf. ein Betretungs- bzw. Tätigkeitsverbot ausgesprochen hat, ist eine Weiterbeschäftigung der betroffenen Person möglich. Die öffentlich-rechtliche Vorschrift des § 20a IfSG begründet kein Recht des Arbeitgebers zur Freistellung. Wenn Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer weiterbeschäftigt werden können, besteht auch keine Grundlage für kündigungsrechtliche Konsequenzen.“

https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/C/Coronavirus/FAQs_zu_20a_IfSG.pdf

BVerfG, Urteil vom 27.04.2022 – 1 BvR 2649/21, juris, Rn. 215; 253)

Auch das Bundesverfassungsgericht hat ausdrücklich festgestellt:

BVerfG, Urteil vom 27.04.2022 – 1 BvR 2649/21, juris, Rn. 215; 253)

Rn. 215

„Für bereits zum 15. März 2022 in den genannten Einrichtungen und Unternehmen tätige Personen hat der Gesetzgeber zudem kein sich unmittelbar kraft Gesetzes ergebendes Betretungs- oder Tätigkeitsverbot geregelt, sondern dessen Anordnung von einer ermessensgeleiteten Einzelfallentscheidung des Gesundheitsamts abhängig gemacht (vgl. § 20a Abs. 5 Satz 3 IfSG). Zuvor muss das Gesundheitsamt Betroffene unter angemessener Fristsetzung auffordern, den Nachweis nach § 20a Abs. 2 Satz 1 IfSG ihm gegenüber zu erbringen. Zudem kann es den bereits zum 15. März 2022 Beschäftigten im Rahmen seines Ermessens nicht nur ein Tätigkeitsverbot auferlegen, sondern auch – als milderes Mittel – lediglich untersagen, eine Einrichtung oder ein Unternehmen zu betreten. Nicht geimpften und nicht genesenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wäre dann – soweit dies in Betracht kommt – eine weitere berufliche Tätigkeit etwa im Home-Office möglich.“

Rn. 253

Zwar droht weder als Folge einer individuellen Entscheidung gegen eine COVID-19-Impfung noch bei Nichtvorlage eines Nachweises bis zum 15. März 2022 (vgl. § 20a Abs. 2 Satz 1 IfSG) ein berufliches Betretungs- oder Tätigkeitsverbot unmittelbar kraft Gesetzes. Das Gesundheitsamt kann aber, wenn der Nachweis auch ihm gegenüber nicht auf entsprechende Anforderung (vgl. § 20a Abs. 5 Satz 1 IfSG) innerhalb einer angemessenen Frist vorgelegt wird, nach Maßgabe des § 20a Abs. 5 Satz 3 IfSG im Rahmen einer Ermessensentscheidung ein Betretungs- oder Tätigkeitsverbot anordnen.“

https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2022/04/rs20220427_1bvr264921.html

Deshalb kommt auch das Arbeitsgericht Paderborn zu dem Schluss, dass es sich nicht um ein zwingendes gesetzliches Tätigkeitsverbot bzw. eine Tätigkeitsvoraussetzung handelt.

Das Arbeitsgericht Paderborn kann auch keine überwiegenden Nichtbeschäftigungsinteressen der Beklagten erkennen .

Es wird zwar darauf hingewiesen, dass das Bundesarbeitsgericht entschieden hat,

  •  dass der Arbeitgeber im Rahmen der Pandemiebekämpfung auch über die gesetzlichen Vorgaben hinausgehende eigene Regelungen treffen könne soweit diese unter Berücksichtigung der überwiegenden Interessen aller Beteiligten als verhältnismäßig und interessensgerecht angesehen werden können.

Derartig überwiegende Interessen wurden aber von der Beklagten nicht vorgetragen und waren im vorliegenden Fall auch nicht erkennbar.

„Die Beklagte hat nicht vorgetragen warum es ihr nicht möglich bzw. nicht zumutbar sein soll, die Abläufe im Betrieb der Beklagten wieder so zu organisieren dass die Klägerin keinen Kontakt zu den vulnerablen Gruppen hat. Bei einer ausschließlich in der Küche zu erbringenden Tätigkeit ohne jeglichen Kontakt mit den vulnerablen Personengruppen und der weiterhin unstreitig bestehenden Testpflicht ist nicht nachvollziehbar warum die Beklagte ein überwiegendes Interesse an einer Nichtbeschäftigung der Klägerin haben sollte. Insoweit ist gerade auch zu berücksichtigen dass die Klägerin bereits seit dem 16.10.2002 bei der Beklagten tätig ist“

Nicht festzustellende erhöhte Gefährdung durch die Klägerin

„Hinzu kommt, dass die Beklagte auch lediglich pauschal vorträgt, den Lebens-und Gesundheitsschutz der Bewohner in den Vordergrund zu stellen, ohne jedoch nachzuweisen, dass von der Klägerin eine erhöhte Infektionsgefahr ausgeht. Die Klägerin hat bestritten, dass durch Sie als ungeimpfte Personen ein erhöhtes Infektionsrisiko ausgeht. Sie hat zutreffend darauf hingewiesen dass selbst vom RKI mittlerweile eingeräumt wird, dass auch von geimpften Personen das Coronavirus weitergetragen wird. Zudem können sich auch diese Personen trotz Impfung mit Corona infizieren. Warum insofern vor dem Hintergrund der langen Beschäftigung, der Tätigkeit in der Küche und der nicht festzustellenden erhöhten Gefährdung durch die Klägerin von einem überwiegenden Interesse der Beklagten an einer Nichtbeschäftigung auszugehen sein sollte, erschließt sich der Kammer nicht .

Dem Beschäftigungsantrag war mithin stattzugeben.“

Arbeitsgericht Paderborn 28.10.2022 3 Ca 529/22

Mit diesem Paukenschlag war dann auch die Frage des Annahmeverzugs eigentlich keine Frage mehr.

Da das Vorlegen einer der in § 20a IfSG genannten Nachweise nach Auffassung des Gerichts

  •  keine gesetzliche Tätigkeitsvoraussetzung ist und
  •  auch keine überwiegenden Interessen der Beklagten an der Nichtbeschäftigung bestehen,

war die Arbeitsleistung auch nicht unmöglich und die Beklagte ist verpflichtet für den gesamten Zeitraum der Freistellung die Vergütung zuzüglich Zinsen zu zahlen.

Das Urteil ist natürlich noch nicht rechtskräftig ,aber es ist ein wichtiges Signal und zeigt, dass sich Arbeitgeber so wie die Gesundheitsämter mit der geänderten Sach- und Rechtslage beschäftigen müssen und Arbeitnehmer nicht pauschal ohne die Entscheidung des Gesundheitsamtes freistellen dürfen, sofern sie nicht ausnahmsweise berechtigte Interessen nachweisen können.